Recruiting-Benchmark: Der ernüchternde Status quo der Personalgewinnung in Deutschland
Lesezeit: 12 Minuten | Kategorien: HR, Personalmarketing, Recruiting
Wie steht es wirklich um die Personalgewinnung in deutschen Unternehmen?
Dank der neuen Studie „Recruiting-Strukturen – Ein Benchmark“ liegen nun erstmals detaillierte Einblicke in die Recruiting-Praxis deutscher Unternehmen vor. Die Ergebnisse sind ernüchternd und werfen ein kritisches Licht auf die gängigen Ausreden vom „Fachkräftemangel.“ Statt einem reinen Mangel an Fachkräften offenbart die Studie: Die Probleme liegen oft innerhalb der Unternehmen selbst. Dennoch bergen die Ergebnisse auch Chancen – vor allem für Unternehmen, die bereit sind, ihre Strategien zu überdenken und ihre Recruiting-Budgets neu zu verhandeln.
Personal gesucht – aber zu welchem Preis?
Deutsche Unternehmen streben nach Wachstum, unabhängig von den begrenzten Ressourcen. Die Zahl der offenen Stellen ist höher denn je – sogar im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie. Doch bleiben viele Stellen unbesetzt, was oft weniger mit einem Mangel an Fachkräften als mit internen Schwächen zu tun hat. Warum sollten Talente für Unternehmen arbeiten, die sich nicht um attraktive Arbeitsbedingungen bemühen, schlechte Bewerbungsprozesse haben oder ihr „Warum“ nicht klar kommunizieren können?
Unbesetzte Stellen sind selten ein externes Problem. Vielmehr zeigt sich eine systematische Fehlallokation: Arbeitgeber, die auf gute Mitarbeiter setzen und ihr Recruiting strategisch optimieren, werden langfristig überleben. Hier kann der Recruiting-Benchmark wertvolle Orientierung bieten.
Ein erster Einblick: Was ist der Recruiting-Benchmark?
Der Recruiting-Benchmark untersucht die Struktur und Effektivität von Recruiting-Prozessen in deutschen Unternehmen. Die Erhebung umfasst folgende Schwerpunkte:
- Organisationsstruktur: Wie ist das Recruiting aufgebaut?
- Prozesse: Wer ist beteiligt und wie laufen diese ab?
- Zielgruppen: Welche Kandidaten werden gesucht, und welche Stellen haben Priorität?
- Methoden und Kanäle: Welche Ansätze werden genutzt, um Talente zu finden?
- Personalschlüssel: Wie viele Ressourcen stehen für das Recruiting zur Verfügung?
- Kennzahlen: Welche Metriken werden zur Steuerung eingesetzt?
Der Boom im Employer Branding
Eine erfreuliche Entwicklung zeigt sich im Bereich Employer Branding und Personalmarketing. Im ersten Halbjahr 2022 wurden über 5,4 Millionen Stellen ausgeschrieben – 15 % mehr als vor der Pandemie. Besonders stark wächst der Bedarf an Fachkräften im Bereich Employer Branding, was ein zunehmendes Bewusstsein für die Bedeutung einer starken Arbeitgebermarke signalisiert. Dennoch zeigt der Benchmark, dass die Ressourcen oft unzureichend sind: Mehr als ein Viertel der Unternehmen stellt dafür kaum Personal bereit.
Herausforderungen im Recruiting-Alltag
Die Studie enthüllt einige alarmierende Werte: Ein Recruiter betreut im Durchschnitt 27 offene Positionen gleichzeitig. Besonders in größeren Unternehmen wird diese Zahl häufig noch überschritten. Das Resultat sind überforderte HR-Abteilungen und ineffiziente Prozesse, die letztlich zur Verschärfung der sogenannten Fachkräftekrise beitragen.
Zudem mangelt es häufig an strategischer Unterstützung. Recruiting sollte eine beratende Rolle einnehmen, doch oft fehlen Ressourcen und Kompetenzen, um diese Aufgabe effektiv zu erfüllen. Hierbei spielen sowohl HR-Teams als auch Fachbereiche eine entscheidende Rolle – nur in Zusammenarbeit kann das Recruiting erfolgreich sein.
Wichtige Kennzahlen bleiben ungenutzt
Eine der gravierendsten Erkenntnisse des Benchmarks betrifft die Verwendung von Kennzahlen. Die „Cost of Vacancy“ (COV), eine der wichtigsten Metriken zur Messung der Kosten unbesetzter Stellen, wird nur von 6 % der Unternehmen aktiv genutzt. Dabei könnte gerade diese Kennzahl helfen, realistische Recruiting-Budgets zu rechtfertigen und Investitionen in HR-Ressourcen besser zu argumentieren.
Fazit: Potenziale nutzen, statt zu lamentieren
Der Recruiting-Benchmark zeigt deutlich: Der „Fachkräftemangel“ ist oft hausgemacht. Unternehmen, die den Stellenwert des Recruitings unterschätzen, riskieren langfristige Nachteile im Wettbewerb um Talente. Die Studie bietet jedoch auch klare Handlungsansätze, um Defizite zu beheben und nachhaltige Strategien zu entwickeln.
Wo stehen Unternehmen beim Recruiting?
Recruiting im Fokus: Herausforderungen und Strategien
Die Personalgewinnung stellt Unternehmen heute vor erhebliche Herausforderungen, insbesondere in Zeiten eines Fachkräftemangels. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, setzen Unternehmen verstärkt auf spezialisierte Recruiting-Strukturen. Eine aktuelle Studie von Wollmilchsau, der HTWK Leipzig und der DGFP beleuchtet, wie Unternehmen ihre Recruiting-Prozesse organisieren und wo Optimierungsbedarf besteht.
Spezialisierte Recruiting-Teams auf dem Vormarsch
Recruiting wird in vielen Unternehmen als strategisch wichtig angesehen. Laut der Studie verfügen 61 Prozent der befragten Unternehmen über eigenständige Recruiting-Teams oder -Einheiten wie Shared Services oder Recruiting-Center. Weitere 47 Prozent setzen auf HR-Generalisten, die sich parallel zur Personalgewinnung auch um andere Aufgaben kümmern. Nur ein Prozent der Firmen hat das Recruiting vollständig an externe Anbieter ausgelagert, während neun Prozent bestimmte Berufsgruppen über Recruitment-Process-Outsourcing (RPO) rekrutieren.
Darüber hinaus werden Bereiche wie Employer Branding, Personalmarketing und Active Sourcing zunehmend von spezialisierten Mitarbeitenden abgedeckt. In 44 Prozent der Unternehmen ist hierfür zwischen 0,5 und einer Vollzeitstelle vorgesehen, während knapp 17 Prozent sogar ein Team aus bis zu drei Vollzeitkräften beschäftigen. Active Sourcing ist bei 43 Prozent der Unternehmen jedoch noch nicht etabliert. Gleichzeitig gibt es Firmen, die mehr als fünf oder sogar zehn Vollzeitstellen für Recruiting, Employer Branding und Personalmarketing bereitstellen.
Nachgefragte Berufe: IT und kaufmännische Tätigkeiten im Fokus
Die Anforderungen an die Personalgewinnung variieren je nach Zielgruppe. Im Bereich der Fachkräfte und Auszubildenden dominieren kaufmännisch-administrative Berufe, gefolgt von technischen und vertrieblichen Berufen. Strategisch und hinsichtlich des Volumens besonders bedeutend ist die IT- und Softwareentwicklung, die im Segment der Spezialisten und Experten an erster Stelle steht. Darauf folgen Corporate Functions sowie Ingenieur- und Technikberufe.
Arbeitsbelastung der Recruiter: 62 Stellen pro Jahr
Die Arbeitsbelastung im Recruiting ist hoch: Im Durchschnitt betreut ein Recruiter gleichzeitig 27 offene Positionen und besetzt pro Jahr etwa 62 Stellen. Die Zahl variiert je nach Unternehmensgröße. Während bei größeren Unternehmen mehr Stellen pro Jahr zugewiesen werden, bleibt die Zahl der gleichzeitig betreuten Positionen stabil. Besonders in Firmen mit einer Mitarbeiterzahl zwischen 2.500 und 4.999 ist die Belastung der Recruiter deutlich erhöht.
Die Organisation des HR-Bereichs beeinflusst ebenfalls die Arbeitsbelastung. In 40 Prozent der Unternehmen wird eine Mischform aus Drei-Säulen-Modell und Personalreferentenmodell genutzt, während 35 Prozent ausschließlich auf das Personalreferentenmodell setzen. Das Drei-Säulen-Modell, das zwischen Shared Services, HR-Business-Partnern und Centern of Expertise unterscheidet, ist in 26 Prozent der Unternehmen vertreten und zeichnet sich durch eine besonders hohe Arbeitsintensität im Recruiting aus.
Jobbörsen bleiben der wichtigste Recruiting-Kanal
Bei der Wahl der Recruiting-Kanäle dominieren weiterhin klassische Methoden. 97 Prozent der Unternehmen nutzen Jobbörsen, während Mitarbeiter-Empfehlungsprogramme (70 Prozent) und Dienstleister für Direktvermittlung (67 Prozent) ebenfalls häufig zum Einsatz kommen. Active Sourcing (66 Prozent) und Social Media Performance Marketing (61 Prozent) gewinnen zunehmend an Bedeutung. Weniger verbreitet sind hingegen Methoden wie Programmatic Job Advertising (25 Prozent) oder Community-Events (23 Prozent).
Die Studie zeigt, dass viele Unternehmen auf einen Methodenmix setzen. Gleichzeitig wird deutlich, dass oft nach dem „Gießkannenprinzip“ gearbeitet wird: Die gleichen Kanäle werden unabhängig davon genutzt, ob Fachkräfte oder Spezialisten gesucht werden. Eine zielgruppenspezifischere Auswahl der Methoden bleibt vielfach noch aus.
Kennzahlen im Recruiting: Wunsch und Realität
Kennzahlen wie Time-to-Hire, Cost-per-Hire oder Channel Effectiveness gelten als wichtige Messgrößen im Recruiting. Doch zwischen Wunsch und Wirklichkeit klaffen große Lücken: Während 49 Prozent der Befragten die Cost-of-Vacancy regelmäßig erheben möchten, tun dies nur fünf Prozent tatsächlich. Auch die Time-to-Interview und Cost-per-Application werden in weniger als einem Viertel beziehungsweise einem Achtel der Unternehmen erfasst.
Insgesamt zeigt die Studie, dass Recruiting-Kennzahlen in vielen Firmen noch unterrepräsentiert sind. Weniger als zwei Drittel der Unternehmen messen die Time-to-Hire, und zentrale Kennzahlen wie Cost-per-Hire oder Channel Effectiveness werden in weniger als der Hälfte der Fälle systematisch erfasst.
Fazit: Recruiting bleibt eine strategische Herausforderung
Die Benchmark-Studie zeigt, dass viele Unternehmen die Bedeutung eines strukturierten und professionellen Recruitings erkannt haben. Spezialisierte Teams, vielfältige Kanäle und moderne Methoden werden zunehmend eingesetzt. Gleichzeitig gibt es Nachholbedarf, insbesondere bei der Nutzung von Kennzahlen und der zielgruppenspezifischen Auswahl von Recruiting-Kanälen. Unternehmen, die hier ansetzen, können ihre Recruiting-Strategie gezielt verbessern und sich im Wettbewerb um Talente besser positionieren.